• Hallo,

    da es derzeit in Österreich heftige Diskussionen gibt bezüglich der "Section Controls" und der Tempoerhöhung auf Autobahnen mit 3 Spuren + Pannenstreifen auf 160km/h, darf ich euch den Artikel, der in der aktuellen Ausgabe von der Autorevue ist, nicht vorenthalten, da er meiner Meinung nach einfach zu 100% stimmt.

    Hier zuerst der "normale" Artikel über "Rasen":

    "Geschwindigkeit und Hormone: Von wegen Raser-Gen

    Auch wenn viele gerne schnell fahren: Temporausch und Geschwindigkeitssucht gibt es nicht

    Kein Wissenschaftler konnte bisher beim Autofahren einen so eindeutigen Zusammenhang zwischen Hormonhaushalt und Tätigkeit finden, wie dies etwa beim Marathonlaufen der Fall ist. Dort ist die Sache eindeutig. Übermäßige Anstrengung verursacht Schmerzen, dann produziert der Körper vermehrt Endorphin, um sie leichter zu ertragen. Das Glücksgefühl und manchmal auch das suchthafte Verhalten von Ausdauersportlern lässt sich auf diese Weise recht leicht erklären. Es handelt sich tatsächlich um eine Form von Berauschung und Sucht in direktem Zusammenhang mit dem Endorphinausstoß.

    Anders beim Autofahren: Man weiß bis heute nicht wirklich, woher die Freude am Schnellfahren kommt. Hirntätigkeit, Herzfrequenz und Hormonhaushalt zeigen beim Autofahren zwar Abweichungen gegenüber dem normalen Alltag. Schlüssige Zusammenhänge und daraus folgende klare Antworten gibt es trotzdem nicht. Das Einzige, wo die Zeiger der Messgeräte wirklich heftig ausschlagen, sind Angst und Schrecken. Und das betrifft nur selten die Fahrer, sondern viel öfter die Beifahrer, und hat ganz und gar nichts zu tun mit der Tatsache, dass sehr viele Menschen sehr gerne sehr schnell mit dem Auto fahren.

    Im Detail: Das Kuratorium für Verkehrssicherheit hat eine Studie veröffentlicht mit dem Titel „Die Psychophysiologie des Schnellfahrens“ und sich darin mit Akribie dem Phänomen Temporausch genähert. Und es entsteht der Eindruck, je größer die wissenschaftliche Genauigkeit, umso weniger lassen die Ergebnisse irgendwelche Schlüsse zu. Denn, was heißt es schon, wenn beim Schnellfahren das Fahrerhirn deutlich aktiviert wird, während beim Beifahrer vor allem der Puls ansteigt?

    Die eigentliche Überraschung: Entgegen allen bisherigen Erklärungsversuchen spielen Hormone beim Autofahren praktisch keine Rolle. Zwar ändert sich der Endorphinspiegel, je schneller man fährt, er sinkt sogar dabei. Jener Prozess, der Langläufer und Marathonmänner glücklich macht, findet beim Schnellfahren nicht oder gar in umgekehrter Richtung statt. Schlampig gedacht, müsste man beim Schnellfahren sogar unglücklich werden. Jedenfalls kommt der Studienautor, Gregor Bartl, zu dem Schluss: „Eine Sucht nach schnellem Autofahren ist aus biologischer Sicht auszuschließen, speziell auf Endorphin bezogen.“

    Auch bei der Suche nach Testosteron ist man nicht viel schlauer geworden, man konnte zwar eine gängige These widerlegen, dem wahren Geheimnis ist man trotzdem nicht auf die Spur gekommen. Die Vermutung, dass Menschen mit höherem Testosteronspiegel mehr Lust beim Schnellfahren empfinden würden, weil der Testosteronspiegel auch ein Maß für die Aggressivität ist, konnte nicht bestätigt werden. Überhaupt tut sich hormonell beim Schnellfahren ziemlich wenig, weder im Speichel noch im Blut konnten auffällige Wechselwirkungen festgestellt werden. Einzige Ausnahme: Serotonin. Salopp gesagt, wer davon zu wenig hat, kriegt Depressionen. Und tatsächlich: Mit steigender Geschwindigkeit stieg der Serotoninausstoß, allerdings nur bei Personen mit relativ geringer Testosteronkonzentration. Bei Personen mit hoher Testosteronkonzentration fiel der Serotoninausstoß sogar, je schneller gefahren wurde. Der banale Schluss daraus müsste also sogar lauten: Männer werden beim Schnellfahren unglücklich.

    Nachdem man mit den Hormonen zu keinem klaren Ergebnis gekommen war, konzentrierte man sich auf Herz und Kreislauf. Vielleicht sind es doch bloß höhere Herzfrequenz und gesteigerte Durchblutung, die beim Schnellfahren auftreten und uns dazu animieren, diesen Zustand häufig aufzusuchen. Ergebnis hier: Geübte Schnellfahrer bleiben bei jeder Geschwindigkeit ziemlich gelassen. Das Herz-Kreislauf-System macht vor allem bei Ungeübten und Beifahrern Purzelbäume, was auch eher auf Angst und Schrecken hindeutet als auf einen erstrebenswerten psychischen Zustand.

    Die Lust am Schnellfahren dürfte also eine rein psychische Sache sein, jedenfalls hat sie mit dem Hormonhaushalt nichts zu tun. Deshalb, so Gregor Bartl: „Die Hypothese des Endorphinanstiegs als Korrelat des Temporausches muss nicht nur verworfen, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt werden.“
    Vielleicht ist Schnellfahren doch eher ein Fall für die Genforschung – auf der Suche nach dem Raser-Gen."

    Und hier eine persönliche Meinung eines Redakteurs:



    "Zweierlei Rasen

    Was ist schon rasen? Mit 150km/h im Strom der Westautobahn-Pendler auf der linken Spur eingeklinkt von Salzburg nach Wien fahren? Dabei von einem nach allen ARten der Mimikry getarnten Radarkastl fotografiert werden und einen Erlagschein zugeschickt bekommen?
    Den einzigen Testosteronschub spüre ich dabei auf dem Weg zur Bank. Mit sechs km/h, zu Fuß. Ehrlich: Wegen 150 auf der Autobahn habe ich nicht einmal ein schlechtes Gewisse, und der Großteil der anderen offenbar auch nicht. Kein Wunder, dass keinerlei chemische Reaktionen messbar sind.
    Vielleicht sollte man die Messgeräte einem Fahrer anlegen, der sich vorstellt, welchen Unfug der Staat mit den Galgen für die LKW-Maut anstellen könnte: Variable Section Control, flächendeckend übers ganze LAnd. Automatisch ausgedruckte Strafzettel, noch vor Ende der Reise: Zu schnell zwischen Melk und Öd, zu schnell zwischen Melk und Amstetten Ost, zu schnell zwischen Melk und Amstetten West, zu schnell zwischen Öd und Amstetten Ost, zu schnell zwischen Amstetten Ost und West. Und natürlich zu schnell auf der ganzen Etappe zwischen Melk und Amstetten West. Mengenrabatt? Vielleicht, wenn die Tempoüberwachung an private Security-Firmen übertragen wird. Zehn Prozent Nachlass mit der Senator-Card, fünf Prozent für Frequent Raser. Man klebt die Senator-Raser-Card ans Kennzeichen, der Rabatt wird direkt ab Radarfoto abgezogen.
    Schlechtes Gewissen hätte deswegen wohl trotzdem keiner. Und kaum einer würde sich denkenk: Heute gönne ich mir was, heute fahre ich 150, weil ich mich spüren will.
    Wirkliches Schnellfahren funktioniert ohnehin anders. Sehr selektiv, mit dem richtigen Gerät zur richtigen Zeit auf der richtigen Strecke. Dann tut sich was. Testosteron und Endorphin wird man dann aber auch schwerlich finden, höchstens Adrenalin, wie man es auch bei Rennfahrern nachweisen kann. Ein rabiater Testosteron-Junkie oder ein glücklich benebelter Fahrer auf Endorphin wird seine Räder nicht land da haben, wo sie hingehören, nämlich auf der Straße.
    Die Essenz der Geschichte: Bloßes Überschreiten der erlaubten Höchstgeschwindigkeit ist zu banal, um überhaupt körperliche Reaktionen hervorzurufen. Das Adrenalinjaukerl bei eimem Auto, das sich auf einer Bergstraße über alle vier Räder rutschend zu verabschieden droht, ist tatsächlich spürbar. Autobahnen, auf denen man ohne schlechtes Gewissen mit 160 dahinschnurren darf, würden wohl zu ausgeglichene Menschen aus uns machen."

    Autorevue 10/2003



    Mfg Hubi