Saft des Siegers
Ein teurer Edelsprit von Shell soll Autos spurtstärker machen. Viele Kunden glauben den Unterschied zu spüren. Die Autohersteller bezweifeln den Effekt.
Gewöhnlich hört ein Tankstellenpächter weder Lob noch Tadel über die von ihm vertriebene Ware. Benzin ist Benzin, allenfalls Super. So nüchtern ist die Welt an der Zapfsäule nun nicht mehr. Shell-Vertreter berichten von verzückten Kunden. Was ist das? Mein Wagen fliegt auf einmal, schwärmte ein Autofahrer in Hamburg-Altona.
Der Betreffende hatte nicht Normalbenzin getankt, auch nicht Super oder Super Plus, sondern ein Raffinat, das der Mineralölkonzern Shell, Sponsor und Kraftstofflieferant des Ferrari-Rennstalls, zusammen mit dem Formel-1-Weltmeisterteam entwickelt hat. Seit Anfang Mai wird es unter der Bezeichnung V-Power verabreicht. Das V steht für Victory.
Am Saft der Siegermarke sollen nun auch Durchschnittsautos erstarken. Tanken Sie ein neues Fahrgefühl, empfiehlt der Prospekt und verrät auch gleich die scheinbar simple Algebra zusätzlich erschließbarer Pferdestärken: Je höher die Oktanzahl, desto höher die Klopffestigkeit und desto besser die Leistung.
Als erster Kraftstoff auf dem deutschen Markt hat V-Power 100 Oktan, zwei mehr als handelsübliches Super Plus und fünf mehr als Super. Die Oktanzahl sagt etwas über die Kohlenwasserstoffverbindungen im Kraftstoff aus. Bei hochoktanigen Benzinen sind diese Molekülketten besonders verzweigt. Dadurch fangen sie nicht so leicht Feuer, brennen dann aber mit Wucht ab - ähnlich wie ein Wollknäuel im Vergleich zu einem langen Faden.
Ist der Oktanwert für einen bestimmten Motor zu niedrig, entflammt der Kraftstoff schon während des Verdichtungsvorgangs vor der geplanten Zündung; die Flammfront schlägt gegen den noch aufwärts strebenden Kolben. Dieses Klopfen kann im schlimmsten Fall den Motor zerstören.
Motoren, die höheroktanige Kraftstoffe verbrennen, können dagegen gefahrlos höher verdichten und entsprechend mehr leisten als andere Aggregate.
Ein Problem allerdings wirft der neue Power-Saft von Shell auf: Einen Motor, der für V-Power entwickelt worden wäre, gibt es nicht. Allein die Verabreichung besserer Raffinate aber gibt einem Motor noch nicht mehr Kraft. Das, erklärt etwa Porsche-Motorenentwickler Heinz-Jakob Neußer, ist physikalisch unmöglich. Für Porsche-Fahrzeuge, die auf Super Plus abgestimmt sind, sei das Potenzial von Shell ,V-Power' unter normalen Bedingungen nicht erschließbar.
Rätselhaft erscheinen da die Erfahrungen mancher Shell-Kunden - ebenso wie die Versprechungen des Mineralölkonzerns: Shell V-Power steigert die Beschleunigung um bis zu zehn Prozent, verheißt der Werbeprospekt.
Die Aussage bezieht sich auf einen Flottenversuch, den Shell-Forscher auf dem Prüfstand vorgenommen haben wollen. 35 verschiedene Pkw mit unterschiedlichen Kilometerleistungen seien dem Test unterzogen worden, manche ohne erkennbare Verbesserung, manche mit den besagten zehn Prozent.
Shell-Forscher Gerd Hagenow erklärt sich das Phänomen so: Manche der älteren Motoren haben Kohleablagerungen auf den Kolben und dadurch eine höhere Verdichtung als ursprünglich vom Hersteller beabsichtigt. Diese profitieren dann von der höheren Oktanzahl.
An Porsche-Motoren, sagt Neußer, ist ein solches Phänomen unbekannt. Dort beobachte er lediglich zuweilen eine Schwarzverfärbung auf den Kolben, jedoch keine Verkokungen, die die Verdichtung erhöhen könnten.
Auch andere Autokonzerne, die Shell ursprünglich als Werbepartner ins Boot holen wollte, zeigen sich skeptisch: Mercedes würde sich eher besseren Kraftstoff zur Emissions- und Verbrauchssenkung wünschen. Power machen wir selber, sagt ein Sprecher des Stuttgarter Konzerns. VW sieht in V-Power eher einen Marketing-Trick.
Der aber funktioniert offenbar gut. Gewöhnlich tanken vier bis fünf Prozent aller Autofahrer Super Plus. Nach ersten Rückmeldungen der Zapfstationen liegt der Anteil von V-Power laut Shell-Sprecher Klaus Picard bei zehn Prozent, und das, obgleich der Liter des Edel-Raffinats 13 Cent teurer ist als der von Superbenzin.
In Italien entscheiden sich sogar 20 Prozent der Shell-Kunden für V-Power. Es wird dort seit etwa zwei Jahren angeboten, hat (wie deutsches Super Plus) 98 Oktan und kostet 15 Cent mehr als Super.
Südlich der Alpen greift vor allem der Ferrari-Effekt (Picard); in Deutschland wird stärker auf den Ferrari-Piloten Michael Schumacher gesetzt. Der V-Power-Prospekt zeigt den Weltmeister in Siegerpose, daneben das sachlich und sprachlich nicht ganz klopffeste Zitat: Shell V-Power ist der beste Kraftstoff, den ich je gefahren habe.
Schumi fuhr durchaus schon mit Raffinaten, die pro Liter über 300 Mark kosteten. Anfang der Neunziger mixten die Lieferanten der Formel-1-Teams gehaltvollste Zaubertränke aus komplexen Kohlenwasserstoff-Ketten, so genannten Norbornan-Dien-Synthesen, bis das Reglement den Chemikern klare Grenzen setzte.
Inzwischen darf sich Formel-1-Kraftstoff (maximal 102 Oktan) nur noch in Nuancen von handelsüblichem Benzin unterscheiden. Manche Additive aus der V-Power-Mixtur, etwa zur Reinigung der Ventile, werden dem Formel-1-Kraftstoff nicht beigemischt. Rennmotoren, sagt Shell-Forscher Hagenow, brauchen das gar nicht.
CHRISTIAN WÜST
Interessant oder? Past ja zu dem was hier im Forum gepostet wurde! Ist ja auch eine Bestätigung für unsere kleinen Motorenguru`s!!
Gruß Marius